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Die stille medizinische Revolution
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ VERÄNDERT DAS GESUNDHEITSWESEN GRUNDLEGEND. Der Bereich könnte zum Paradebeispiel avancieren, wie Technologie Menschen entlasten und soziale Ungleichheiten reduzieren kann.
Eine KI diagnostiziert Hautkrebs zuverlässiger als Fachärzte, ein Roboter erzielt Topresultate im medizinischen Theorietest und ein Algorithmus schätzt die Chancen eines Komapatienten, wieder aufzuwachen, realistischer ein als die Ärzteschaft. Das sind keine Utopien in einer unbestimmten Zukunft, sondern echte Beispiele aus jüngster Zeit. Sie zeigen vor allem eines: Künstliche Intelligenz hat in der Medizin ein enormes disruptives Potenzial.
Das bietet ungeahnte Gestaltungsspielräume. Warum muss eine Ärztin noch Wissen pauken, wenn sie es auch in digitalen Datenbanken abrufen kann? Wozu im Labor zwei-, dreimal den Schlaf tracken, wenn das die Smartwatch das ganze Jahr hindurch erledigen kann?
Bei Hautkrebs diagnostiziert KI in 95% der Fälle korrekt — Menschen in 87 %.
Vier zentrale Anwendungsgebiete
Das World Economic Forum (WEF) identifiziert in einem aktuellen Inside Report vier Gebiete als wichtigste Anwendungsfälle für eine nachhaltige, multilaterale Zusammenarbeit. Demnach liegen die Schwerpunkte in der KI-gesteuerten Diagnose, der Risikostratifizierung, der Optimierung klinischer Studien und der Aufklärung sowie Vorhersage von Ausbrüchen.
Das eingangs erwähnte Hautkrebsbeispiel offenbart, wie eine durch KI gestellte Diagnose die menschliche Expertise übertreffen kann. In der Studie, die in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Annals of Oncology publiziert wurde, fütterte man das Programm mit zahlreichen Bildern und der dazugehörigen Diagnose. Einmal trainiert, war es in der Lage, neue Bilder in 95 Prozent der Fälle korrekt zu interpretieren. Die 58 Experten und Expertinnen kamen auf 87 Prozent. Unter dem Begriff «Risikostratifizierung» eruieren Fachleute, welche Faktoren zu welchem Krankheitsverlauf führen. Gentests liefern schon heute Antworten auf die Frage, welche Krankheiten wir in uns tragen und auf welche Therapien wir wahrscheinlich positiv reagieren. Das führt direkt zu einer individuelleren und damit zielführenderen Medikation. Auch die Identifizierung und Rekrutierung geeigneter Studienteilnehmer:innen könnte KI durch systematisches Durchsuchen medizinischer Datenbanken vereinfachen. Beim Ausbruch ansteckender Krankheiten sind Algorithmen zudem schneller als wir in der Lage, Muster zu erkennen und darauf aufbauend fundierte Prognosen abzugeben.
KI schafft mehr Kapazitäten und ermöglicht auch das Erforschen seltener Krankheiten, die heute finanziell noch unattraktiv sind.
Wie sich das Gesundheitssystem verändert
Solche und weitere Anwendungsgebiete werden die Art und Weise, wie wir weltweit mit Krankheiten umgehen, vermutlich so entscheidend verändern wie unser Kommunikationsverhalten seit der Etablierung des Smartphones angepasst wurde. Die grosse Hoffnung ist, dass ein durch KI gestütztes Gesundheitssystem die Schere zwischen Arm und Reich reduziert, weil insgesamt mehr Kapazitäten geschaffen werden und die rasch voranschreitende Technologie die Kosten massiv reduziert. Damit könnten auch seltene Krankheiten erforscht werden, die heute finanziell noch unattraktiv sind. KI kann dazu beitragen, den Pflegenotstand, die explodierenden Gesundheitskosten und die steigende Antibiotikaresistenz zu entschärfen. Im Allgemeinen wird Prävention an Bedeutung gewinnen — sei es durch frühzeitige Risikoabklärungen oder mithilfe technologischer Gadgets, die uns mit gesundheitsfördernden Tipps versorgen.
Die Befürchtung, dass der Mensch in diesem System irgendwann obsolet wird, stösst dabei auf wenig fruchtbaren Boden. Er bleibt für unsere menschlichen Bedürfnisse zentral: Wir brauchen ein empathisches Gegenüber, um Vertrauen aufzubauen und uns aufgehoben zu fühlen. Indem die Maschine dem Menschen zeitraubende Aufgaben abnimmt, bleibt — hoffentlich — mehr Zeit für Gespräche und Pflege.
Regulatorische und andere Hürden
Gerade weil wir uns im Gesundheitswesen in einem solch sensiblen Bereich bewegen, muss KI aber auch hohe Hürden überwinden. Nebst der notwendigen, länderübergreifenden Kanalisierung und Fokussierung fehlt heute vor allem ein regulatorischer Rahmen. In diesem Zusammenhang sind weltweit viele Bemühungen im Gange, die den Umgang mit den hochsensiblen Daten festlegen. Neben rechtlichen ergeben sich des Weiteren ethische Fragen, die wir als Gesellschaft diskutieren müssen. Können wir der Maschine die gleichen Fehler verzeihen wie einem Doktor? Und was mache ich persönlich mit der Information, dass ich zu 50 Prozent an Krebs erkranken werde — oder gar schon eine bestimmte Krankheit in mir trage? Wie viel es zu gewinnen gibt, wenn wir diese Auseinandersetzung aktiv angehen, zeigt die Geschichte des Proteinfaltungsproblems. Dabei handelt es sich um ein Kernproblem der Biologie — genauer gesagt darum, wie man die Faltung eines Proteins aus den gegebenen Aminosäuren voraussagen kann, was als beinahe unlösbar galt. Deep Mind hat es mit dem Algorithmus AlphaFold2 für praktisch alle körpereigenen Proteine gelöst und damit einen der grössten wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahrhunderts geschafft.
Die Globalance-Sicht
Bei technologischen Anwendungen bildet der Faktor Mensch die grösste Fehlerquelle. Selbstfahrende Autos verursachen erwiesenermassen weniger Crashs. Flugunfälle sind überwiegend auf menschliches Versagen zurückzuführen. Ärztinnen und Ärzte sind auch nur Menschen, lautet ein geflügeltes Wort. Überall dort, wo uns künstliche Intelligenz vor Fehlern bewahrt, ist ihr Einsatz nicht kontrovers. Das Prinzip muss heissen: Technologie unterstützt, verbessert und vereinfacht. Wir achten bei der Auswahl von Unternehmen explizit auf deren sicheren Umgang mit Daten und überzeugendes Risikomanagement durch sinnvolle Leitplanken.
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